2008-06-06

Wenn die Polizei beim Pfarrer schellt

Essen. Vorwürfe gegen mehrere Seelsorger in NRW. Bistümer handeln konsequent.

Bottrop-Welheim ist ein Dorf. Eine schmucke Gartenstadt mit Heile-Welt-Fassaden, hinter denen eine Multi-Kulti-Bevölkerung wohnt. Für manchen hier war die katholische Kirche ein Halt. Die Gemeinde St. Franziskus und Pfarrer G., der hier seit 25 Jahren im Dienst war. War, weil für die Katholiken hier seit vergangener Woche alles anders ist. Erst wurde das Pfarrhaus durchsucht, dann wurde G. (66) verhaftet. Und jetzt hat ihm die Essener Staatsanwaltschaft die Anklageschrift in die Untersuchungshaft geschickt. 1994 und 1995 soll er einen heute etwa 26 Jahre alten Jungen in mindestens 15 Fällen sexuell missbraucht haben, so der Vorwurf. Immer während der Schulferien, wenn der Junge aus dem Bergischen Land – Sohn einer mit dem Pfarrer eng befreundeten Familie – zu Besuch war, wie die Staatsanwaltschaft gestern mitteilte. Die Gemeinde ist geschockt.

Aus der Familie des mutmaßlichen Opfers kam im Oktober 2007 die Anzeige, die das Verfahren ins Rollen brachte. Nachdem die Ermittler bei einer Hausdurchsuchung viele pornografische Filme und Dateien fanden, allerdings offenbar nicht primär kinderpornografisches Material, kam Pfarrer G. ins Gefängnis. Haftgrund: Wiederholungsgefahr.

Vorwurf, zu schnellzu informieren

Hier und dort für Überraschung sorgte G.'s Arbeitgeber, das Bistum Essen. Bischof Felix Genn machte den Fall noch vor der Staatsanwaltschaft publik, „unmittelbar nachdem wir davon erfahren hatten und mit dem Betroffenen sprechen konnten", sagt Sprecher Ulrich Lota. „Der sexuelle Missbrauch ist ein schweres Verbrechen, es wiegt um so schwerer, wenn kirchliche Mitarbeiter betroffen sind." Bereits seit 1998 – vier Jahre bevor die Deutsche Bischofskonferenz ihre Leitlinien veröffentlicht hat – gebe es im Ruhrbistum ein festes Verfahren, wie man in derartigen Fällen vorzugehen habe. Und das sehe auch eine frühzeitige Information der Öffentlichkeit vor. „Das hat uns zuweilen schon den Vorwurf eingehandelt, zu schnell zu informieren", so Lota. Jetzt bemühe sich das Ruhrbistum um Kontakt zu dem möglichen Opfer.

Auch bei der evangelischen Kirche im Rheinland setzt man auf Offenheit und Konsequenz: Als Superintendent Ferdinand Isigkeit im Kirchenkreis Moers im März erfuhr, dass die Staatsanwaltschaft Duisburg gegen einen seiner Seelsorger im Zusammenhang mit Kinderpornografie ermittelt, wurde der Pfarrer umgehend in den „Wartestand" versetzt und ein kirchenrechtliches Disziplinarverfahren eröffnet. Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den 52-Jährigen erhoben. Auf seiner Computerfestplatte wurden „19 Video-Dateien mit kinderpornografischem Inhalt" entdeckt, sagt Behördensprecher Detlef Nowotsch.

Sexualisierte Gewalt in der Kirche nicht mehr „mit dem Mantel des Schweigens" zu belegen, hat sich die Rheinische Landeskirche seit 2002 auf die Fahnen geschrieben. Eine damals erstellte Broschüre mit „Leitlinien" zu diesem Thema ist jüngst neu aufgelegt worden. Zudem wurde in der Kirchenleitung in Düsseldorf ein eigenes Dezernat geschaffen, an das sich Betroffene wenden können. Seelsorgerische und therapeutische Hilfe wird Opfern und mutmaßlichen Tätern zugesichert.

Umdenken in Köln

Auch im Erzbistum Köln ist ein Umdenken zu beobachten: Als sich vor zwei Monaten in einer Gemeinde in Bergisch-Gladbach Hinweise ergaben, dass sich dort ein, mittlerweile verstorbener, Pfarrer in den 70er Jahren an Jugendlichen und Kindern vergriffen haben könnte, machte Generalvikar Dominik Schwaderlapp das in einem offenen Brief kund. Mittlerweile hätten „mehrere Betroffene" die Vorwürfe bestätigt, hieß es gestern in Köln. Der Fall werde „aufgearbeitet", den Betroffenen therapeutische Hilfe angeboten.

Doch eine solche Transparenz ist offenbar noch nicht überall Standard. Das Erzbistum Paderborn bestätigte am Dienstag erst auf Nachfrage von Journalisten, dass bereits seit Herbst gegen einen Bielefelder Pfarrer wegen des Besitzes von kinderpornografischem Material ermittelt wird.  Immerhin heißt es in Paderborn und Essen unisono, die beschuldigten Priester seien unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorwürfe beurlaubt worden. Das war auch schon mal anders. (NRZ)

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